1945: Die Geburt der Zweiten Republik Österreich

Autor: Helmut Wohnout, Generaldirektor des Österreichischen Staatsarchivs

Am 27. März 1945 überschritten sowjetische Truppen bei Klostermarienberg die Grenze und betraten österreichisches Staatsgebiet. Damit begann die militärische Befreiung Österreichs in der Endphase des Zweiten Weltkriegs. Die Einheiten der 3. Ukrainischen Front unter Marschall Tolbuchin rückten rasch in Richtung Wiener Neustadt und weiter nach Wien vor. Nach schweren Kämpfen wurde Wien am 13. April 1945 vollständig von der NS-Herrschaft befreit.

Bereits im Untergrund hatten Vertreter der beiden großen weltanschaulichen Lager – Sozialdemokraten wie Adolf Schärf und Christlichsoziale wie Felix Hurdes und Leopold Figl – Vorbereitungen für die Neugründung eines demokratischen Österreich getroffen. Viele von ihnen waren nach dem Attentat auf Hitler am 20. Juli 1944 erneut inhaftiert worden. Soweit sie überlebten, begannen sie nun mit der Umsetzung ihrer Pläne: Am 14. April konstituierte sich die SPÖ, am 17. April folgte die ÖVP.

Entscheidend für den weiteren Verlauf war das Auftreten Karl Renners. Der politisch erfahrene Sozialdemokrat hatte sich den Sowjets bei Gloggnitz angeboten. Der „alte Fuchs“, an den sich Stalin erinnerte, erwies sich 1945 in seinem geschmeidigen und pragmatischen Agieren als Glücksfall für Österreich. Mit Renners Ankunft in Wien am 20. April begannen die Verhandlungen zur Bildung einer Provisorischen Staatsregierung. Mit dabei: Leopold Figl und Leopold Kunschak (ÖVP), Adolf Schärf (SPÖ) und Johann Koplenig (KPÖ). Renner setzte bewusst auf das Modell von 1918 – nicht Minister, sondern Staatssekretäre sollten die Ressorts leiten, er selbst wurde erneut Staatskanzler.

Am 27. April 1945 erhielt die Regierung die Zustimmung der sowjetischen Besatzungsmacht. Am selben Tag verkündeten SPÖ, ÖVP und KPÖ die Unabhängigkeitserklärung: Der „Anschluss“ von 1938 wurde für null und nichtig erklärt, ebenso alle gegenüber dem Deutschen Reich geleisteten Gelöbnisse. Österreich präsentierte sich dabei als Opfer des Nationalsozialismus – kritische Reflexionen über eigene Mitverantwortung fanden darin keinen Platz.

Erst mit Kriegsende kamen alle Landesteile unter alliierte Kontrolle und Österreich in vier Besatzungszonen geteilt. Wien wurde in vier Sektoren geteilt, die Innere Stadt gemeinsam verwaltet. Die Versorgung der Bevölkerung hatte nun Priorität. Die Zusammenarbeit der drei Parteien war von Kompromissbereitschaft geprägt – ein Kontrast zur instabilen Ersten Republik. Dennoch reichte die Autorität der neuen Regierung zunächst nur bis zur sowjetischen Besatzungsgrenze.
Mit der erfolgreichen Länderkonferenz Ende September 1945 war die Einheit Österreichs gesichert. Voraussetzung war die Einigung auf bundesweite Wahlen. Nun erkannten auch die Westalliierten die Wiener Regierung an. Die Wahl vom 25. November 1945 brachte einen klaren Sieg für die ÖVP und ein deutliches Nein zur KPÖ – ein Signal für die Westorientierung des Landes. Leopold Figl bildete daraufhin eine Konzentrationsregierung aller drei Parteien im vierfach besetzten Österreich und wurde erster Bundeskanzler der Zweiten Republik, während der bisherige Staatskanzler Karl Renner zum Bundespräsidenten gewählt wurde. Damit war der Konstitutionsprozess der Zweiten Republik abgeschlossen.