1955: Der österreichische Staatsvertrag

Autor: Helmut Wohnout, Generaldirektor des Österreichischen Staatsarchivs

Die Verhandlungen über den Österreichischen Staatsvertrag zur Wiederherstellung der völligen Souveränität Österreichs begannen nach Abschluss der Friedensverträge mit Italien, Ungarn, Rumänien, Bulgarien und Finnland Anfang 1947. Die sogenannten Sonderbeauftragten der vier Besatzungsmächte nahmen in London ihre Tätigkeit auf, der österreichischen Delegation wurde vorerst bloß ein Anhörungsrecht eingeräumt.

Der beginnende Kalte Krieg warf seine Schatten auf die Staatsvertragsverhandlungen. Ein zentrales Problem bildeten die von der UdSSR unterstützten jugoslawischen Gebietsansprüche auf Teile Südkärntens. Erst nach dem Bruch zwischen Stalin und Tito 1948 rückte die UdSSR von der Unterstützung Jugoslawiens ab. 1949 einigten sich die Alliierten auf den Schutz ethnischer Minderheiten, der später in Artikel 7 des Staatsvertrags festgeschrieben wurde. Schwieriger war die Frage des sogenannten Deutschen Eigentums: Die Sowjetunion hatte unter Berufung auf die Potsdamer Beschlüsse mit dem „Befehl Nr. 17“ im Sommer 1946 zahlreiche Unternehmen als „deutsch“ deklariert und übernommen.

Mit dem Ausbruch des Korea-Kriegs 1950 kamen die Verhandlungen überhaupt zum Erliegen. Erst nach Stalins Tod 1953 begann sich die Lage zu entspannen. Bundeskanzler Julius Raab, seit Frühjahr 1953 im Amt, begann gezielte Signale an Moskau zu senden.
Auf der Berliner Außenministerkonferenz im Februar 1954 nahm Österreich erstmals gleichberechtigt teil. Zwar scheiterte ein Durchbruch am sowjetischen Junktim mit der ungelösten Deutschlandfrage, doch erklärten die USA ihre Bereitschaft, einer Neutralität für Österreich zuzustimmen, sollte sie von der UDSSR vorgeschlagen werden. Als Nikita Chruschtschow 1955 seine Macht gefestigt hatte, setzte er in Moskau einen Kurswechsel durch. Damit öffnete sich jenes „window of opportunity“, das Raab im April 1955 bei den entscheidenden Verhandlungen in Moskau nutzte.

Am 11. April begann die österreichische Delegation die Gespräche in Moskau. Noch am ersten Tag schlugen die Sowjets die Neutralität als Lösung vor – Raab war vorbereitet. Die Neutralität, „wie sie von der Schweiz gehandhabt wird“, sollte ein souveräner Akt Österreichs sein und daher nicht im Staatsvertrag selbst verankert werden. Zudem erklärte sich die UdSSR bereit, das von ihr kontrollierte Deutsche Eigentum gegen Ablösezahlungen freizugeben.
Damit war nach zehn Jahren Besatzung der Durchbruch gelungen. Es folgten eine Botschafterkonferenz und ein letztes Treffen der Außenminister, bei dem der endgültige Vertragstext beschlossen wurde. Die Alliierten verpflichteten sich zum Abzug ihrer Truppen nach einem festgelegten Zeitplan.

Am 15. Mai 1955 wurde der Österreichische Staatsvertrag im Marmorsaal des Belvederes von den vier alliierten Außenministern und dem Österreichischen Außenminister Leopold Figl unterzeichnet.
Nachdem die vier Mächte ihre Besatzungstruppen abgezogen hatten, beschloss der Nationalrat am 26. Oktober 1955 das Bundesverfassungsgesetz über die immerwährende Neutralität.