Zum Demokratiegehalt der Symbole

Autorinnen: Victoria Coeln & Tamara Ehs

Obgleich den Symbolen und identitätsstiftenden Bildern der Republik Österreich auch die Demokratie eingeschrieben ist, führt diese in der Lesart jener Bildzeichen ein Schattendasein. So ist der Bundesadler mit Krone, Hammer, Sichel und gesprengten Ketten zwar als Wappen und Hoheitszeichen allgegenwärtig und die Präsentation des Staatsvertrags durch Kanzler Leopold Figl am Balkon des Belvedere im kollektiven Gedächtnis verankert; beide sind jedoch eng mit den Themen Freiheit, Unabhängigkeit und staatliche Souveränität verbunden. Damit lässt das österreichische animal symbolicum, wie der Philosoph Ernst Cassirer den Menschen bezeichnete, allerdings eine verengte Sicht auf die heurigen Jubiläen erkennen. Denn Adler, Balkon und nicht zuletzt die zwölf Sterne der EU-Flagge erzählen viel mehr, eben auch über die Demokratie, und stehen auch miteinander im Gespräch.

Chromotopia Austria macht es sich zur Aufgabe, den Blick zu öffnen, hinter die bekannte Kulisse zu schauen und den genuin demokratischen Gehalt der Bilder und Symbole wiederzuentdecken. Die Ereignisse der Jahre 1945, 1955 und 1995 werden transformiert und neu formatiert, verbinden sich somit im Spannungsfeld des Licht- und Schattenrasters zu einem weiteren kraftvollen Symbol als vielschichtiges Bedeutungsreservoir für die Diskussion zeitgenössischer gesellschaftlicher Muster von Ein- und Ausschluss.

Mauerkrone und Gesprengte Ketten des Bundesadlers
1945 erhielt der österreichische Adler eine entzweigerissene Kette zwischen die Fänge, die die bisherigen Wappenteile ergänzte. Abermals war es Karl Renner, der nur wenige Tage nach der Unabhängigkeitserklärung vom 27. April im Kabinettsrat einen Antrag zur Erweiterung des Wappens einbrachte. Renner war bereits 1918 als Staatskanzler der Ersten Republik Österreich maßgeblich an der Erarbeitung eines neuen Staatswappens beteiligt gewesen und hatte einen eigenhändigen Entwurf vorgelegt. Darin war der Doppeladler der Habsburger-Monarchie verschwunden; stattdessen zeichnete Renner einen Stadtturm, gekreuzte Hämmer und einen Ährenkranz, um Bürger, Arbeiter und Bauern zu symbolisieren.

Letztendlich kam es jedoch zu einem sehr österreichischen Kompromiss zwischen Alt und Neu, der auf Kontinuität im Wandel und auf Wiedererkennungswert setzte: Der Adler blieb bestehen, verlor zwar einen Kopf, gewann aber eine Neuinterpretation als Symbol für die Souveränität der jungen Republik hinzu, angelehnt an das Wappen der USA. Außerdem waren die Bürger nicht mehr durch ein Stadttor repräsentiert, sondern durch die Mauerkrone, und die Bauern erhielten statt Ähren eine Sichel.

Als am Nachmittag des 8. Mai 1919 das Gesetz über das Staatswappen in der Konstituierenden Nationalversammlung zur Beschlussfassung stand, legte der christlichsoziale Abgeordnete Rudolf Ramek (bald Justizminister, später Bundeskanzler) als Berichterstatter seine Sicht der Symbolik dar und brachte erstmals die Demokratie ins Spiel: „In dem Gesetzesentwurfe der Staatsregierung ist nun das Wappen in einer Form zum Ausdruck gebracht, welche den gegenwärtigen staatsrechtlichen Verhältnissen, in denen wir leben, vollständig entspricht. […] Der Adler […] trägt die Bürgerkrone, das Zeichen der Demokratie.“ (Stenographische Protokolle, S. 316) Die goldene Stadtmauerkrone mit drei Zinnen am Haupt des Adlers symbolisiert ursprünglich die Stadt als Wiege des Bürgertums und politischer Mitbestimmung, schließlich aber die Demokratie als solche.

Die 1945 hinzugefügten gesprengten Ketten ergänzten das Wappen um die Symbolik der Wiedererlangung der Unabhängigkeit. Sie waren während der Besatzungszeit von 1945 bis 1955 allerdings mehr Wunsch und Zielsetzung als Wirklichkeit der jungen Zweiten Republik. Denn während der zehnjährigen Verhandlungen bis zur Erlangung des Staatsvertrags war Österreich ein unter den Alliierten viergeteiltes Land. Daraus resultierten auch Einschränkungen für die Demokratie, die darauf abzielten, ihre Wehrhaftigkeit zu stärken und einem Rückfall in den Faschismus vorzubeugen.

Der nach der Zeit des Austrofaschismus und Nationalsozialismus im November 1945 – erstmals seit 1930 – gewählte Nationalrat war in der Gesetzgebung nicht souverän. Es bedurfte anfangs der einstimmigen Billigung des Alliierten Rats, bevor Gesetze in Kraft treten konnten; später hatte der Alliierte Rat ein Vetorecht. Außerdem waren rund 800.000 ehemalige NSDAP-Mitglieder bei der Nationalratswahl 1945 nicht wahlberechtigt und nur drei Parteien (ÖVP, SPÖ, KPÖ) zur Wahl zugelassen. Ebenso war die Medienfreiheit eingeschränkt, zumal eine unabhängige Berichterstattung weitgehend fehlte: Jede alliierte Macht verfügte über eigene Zeitungen und Radiosender, die die Bevölkerung in ihrem Sinne und gemäß ihrer Vorstellung von Demokratie informierten. Darüber hinaus gab es in Österreich etwa im Vergleich zu Deutschland so gut wie keine politische Bildung oder Reeducation. Das Narrativ als „erstes Opfer Hitlers“ war weit verbreitet; als Begründung für die Opferthese wurde die stark polarisierte Gesellschaft der Ersten Republik ins Treffen geführt. In der jungen Zweiten Republik stand daher die Konsensdemokratie im Mittelpunkt aller politischen Bemühungen.

Die neuen und erweiterten Staatssymbole bildeten den Anfang dieser jungen Österreich-Identität und standen vor vielen anderen Themen auf der politischen Agenda. Während die Mauerkrone des Bundesadlers als Symbol der Demokratie seit jeher weitgehend übersehen wird, sind die gesprengten Ketten bis heute Symbol einer kollektiven Erwartung und Motivation einer souveränen Republik.

Demokratieschutz im Staatsvertrag
Als Leopold Figl zur Mittagsstunde des 15. Mai 1955 auf den Balkon von Schloss Belvedere trat und der jubelnden Menge den Staatsvertrag präsentierte, läuteten im ganzen Land die Glocken. Das neue Österreich hatte das Licht der Welt erblickt und das Kind wurde zur Schau gestellt. Während der Altan am Heldenplatz die Zerstörung des demokratischen, freien Österreichs symbolisiert, blickt man mit Stolz auf einen anderen Balkon. Chromotopia Austria überschreibt den Altan mit einer Projektion des Belvedere-Balkons, der plötzlich mitten im politischen Zentrum Österreichs neu sichtbar wird. Die Lichtkunst verwebt zwei identitätsstiftende Vorbauten. Abermals wird der Staatsvertragsbalkon mobil und erscheint an einem anderen Ort. Schon zu den Jubiläumsfeierlichkeiten 2005 fuhr ein mobiler Balkon auf einem Kranwagen durch Österreich, auf dem die Bevölkerung die Szene nachspielen konnte. Diese Inszenierung und Wiederaufführung ließ allerdings eine Auseinandersetzung mit dem zutiefst demokratischen Gehalt des Staatsvertrags vermissen, auf den Chromotopia Austria nun aufmerksam macht.

Unterzeichnung des Staatsvertrags
Aus demokratiewissenschaftlicher Sicht ist der Staatsvertrag eines der wichtigsten Dokumente der Republik: Er enthält Verpflichtungen zu Menschenrechten (Artikel 6), Minderheitenschutz (Artikel 7) und Demokratieschutz (Artikel 8 und 9), die miteinander korrespondieren. Österreich verpflichtet sich darin, „allen unter österreichischer Staatshoheit lebenden Personen ohne Unterschied von Rasse, Geschlecht, Sprache oder Religion den Genuß der Menschenrechte und der Grundfreiheiten einschließlich der Freiheit der Meinungsäußerung, der Presse und Veröffentlichung, der Religionsausübung, der politischen Meinung und der öffentlichen Versammlung zu sichern“ (Art. 6), präzisiert um den Schutz der slowenischen und kroatischen Minderheiten (Art. 7) sowie ergänzt um eine explizit antifaschistische, wehrhafte Demokratie (Art. 8 und Art. 9), die weiter geht als das Verbotsgesetz der nationalsozialistischen Wiederbetätigung, weil sie sich verpflichtet, „auch alle anderen Organisationen, […] welche die Bevölkerung ihrer demokratischen Rechte zu berauben bestrebt sind“, aufzulösen (Art. 9 Abs. 2).

Chromotopia Austria richtet ihre Scheinwerfer auf jenen weithin unbekannten Gehalt dessen, was 1955 am Balkon präsentiert wurde. Die Chromotope regen an, hinter die ikonische Fotografie zu schauen und dort den demokratischen Inhalt des Staatsvertrags zu entdecken. In ihm liegt ein bis heute uneingelöstes Versprechen, ja ein offengebliebener Auftrag zur Erweiterung und zum Schutz der Demokratie, der 40 Jahre später beim Beitritt zur Europäischen Union nochmals Betonung fand.

Demokratiegebot der Europäischen Union
Im Jahr 1955, im Jahr der Unterzeichnung des Staatsvertrags, wurden auch die zwölf Sterne zum Symbol Europas, nämlich als Flagge des Europarats. Drei Jahrzehnte später machten sich die Europäischen Gemeinschaften dieses Symbol für Vollkommenheit und Einheit als Zusammenschluss demokratischer Staaten zu eigen. Als Österreich 1995 der EU beitrat, übernahm es den gesamten Rechtsbestand – damals aktuell den Maastrichter Vertrag über die Europäische Union, worin sich mehrmals Bekenntnisse und Erläuterungen zur Demokratie als Arbeitsweise der EU und ihrer Mitgliedstaaten finden.

Auch wenn der Europäischen Union selbst seit Langem ein Demokratiedefizit attestiert wird, dessen Behebung man sich erst allmählich mit Maßnahmen wie der Europäischen Bürgerinitiative oder den neuen Bürgerforen annimmt, besteht für die Mitgliedstaaten doch ein Demokratiegebot. Schon die Beitrittsbedingungen der Kopenhagener Kriterien nennen unter anderem die Aufrechterhaltung der demokratischen Ordnung und begründen damit für die Mitgliedstaaten die Verpflichtung einer wehrhaften Demokratie. In den vergangenen Jahren entwickelte die EU – nicht zuletzt unter dem Eindruck der Verstöße gegen gemeinsame Grundwerte durch die Regierungen in Ungarn oder Polen – neue Instrumente zur Verteidigung der Demokratie, allen voran den seit 2021 geltenden Rechtsstaatsmechanismus; er beinhaltet die Möglichkeit zur Kürzung von Mitteln aus dem EU-Haushalt. Zuletzt kam ein „Aktionsplan für Demokratie in Europa“ hinzu, der insbesondere die Stärkung der Medienfreiheit und den Kampf gegen Desinformation zum Ziel hat.

Die zwölf Sterne als Symbol von Vollkommenheit und Einheit sind somit weniger als eine Tatsachenbeschreibung denn als Wunsch und Auftrag zu lesen, gemeinsam die europäische, rechtsstaatlich eingebettete Demokratie zu stärken. In dieser Hinsicht stehen sie mit den gesprengten Ketten des Bundesadlers im Dialog, die über viele Jahre hinweg vielmehr eine mühselige politische Zielsetzung darstellten: Per aspera ad astra. Das Bestreben könnte darin bestehen, neben der Diskussion über die Erweiterung um Mitgliedstaaten auch eine Debatte zur Demokratieerweiterung zu führen: Wie können wir die politische Teilhabe stärken? Wie können wir mehr Menschen miteinander ins Gespräch bringen?